Leitsätze
a) Die durch die COVID-19-Pandemie bedingte Schließung eines Einzelhandelsgeschäfts führt nicht zu einem Mangel der Mietsache im Sinne von § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB. Dem Vermieter wird dadurch die vertraglich geschuldete Leistung zur Überlassung und Erhaltung der Mietsache in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand auch nicht ganz oder teilweise unmöglich.
b) Im Fall einer Geschäftsschließung, die auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie beruht, kommt grundsätzlich ein Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB in Betracht.
c) Bei der Prüfung, ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, verbietet sich eine pauschale Betrachtungsweise. Maßgeblich sind vielmehr sämtliche Umstände des Einzelfalls. Daher sind auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt hat.
In dem vom BGH entschiedenen Fall ging es um eine Filiale des Textil-Discounters Kik, die Mitte März bis Mitte April 2020 schließen musste. Der Vermieter will für diese Zeit die volle Miete von rund 7.850 Euro. Das Oberlandesgericht (OLG) Dresden hatte entschieden, dass Kik nur ungefähr die Hälfte zahlen muss. Es gehe hier nicht um ein „normales“ Risiko, „sondern um weitgehende staatliche Eingriffe in das soziale und wirtschaftliche Leben aufgrund einer Pandemie“. Das Risiko einer solchen Systemkrise könne nicht einer Vertragspartei allein zugewiesen werden. Diese 50:50-Lösung war den BGH-Richtern zu pauschal. Das OLG Dresden muss den Fall anhand der Vorgaben des BGH nun erneut prüfen.
Im Ergebnis bedeutet dies:
Dem Mieter eines Ladenlokals, der sein Geschäft im Corona-Lockdown vorübergehend schließen musste, kann ein Anspruch auf Reduzierung der Miete zustehen. Ob und um wieviel die Miete reduziert ist, ist eine Frage des Einzelfalls.
Eine aufgrund der Corona-Pandemie angeordnete vorübergehende Schließung stellt keinen Mangel der gemieteten Räumlichkeiten im Sinne von 536 Abs. 1 Satz 1 BGB dar, so der BGH in seiner Entscheidung. Eine „klassische“ Mietminderung kommt daher nicht in Betracht.
Allerdings kann dem von der Corona-bedingten Schließung betroffenen Mieter grundsätzlich ein Anspruch auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB zustehen.
Ob ein solcher Anspruch auf Anpassung der Miete tatsächlich besteht und um wie viel die Miete zu reduzieren ist, ist in jedem konkreten Einzelfall anhand der jeweiligen Umstände zu beurteilen. Einer pauschalen Lösung, etwa im Sinne einer „50:50“-Teilung zwischen Vermieter und Mieter erteilt der BGH eine Absage.
Maßgebliche Punkte bei der Prüfung, ob und wie viel die Miete zu reduzieren ist, sind:
- Nachteile, die dem Mieter durch die Schließung entstanden sind (bezogen auf das konkrete Mietobjekt, nicht den Konzernumsatz)
- Tatsächlich ergriffene oder mögliche Maßnahmen des Mieters, um die drohenden Verluste zu vermeiden
- Staatliche Leistungen zum Ausgleich pandemiebedingter Nachteile (Darlehen bleiben unberücksichtigt)
- Leistungen der Betriebsversicherung
Eine tatsächliche Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Mieters ist nicht erforderlich.
Zudem sind bei der Abwägung auch die Interessen des Vermieters zu berücksichtigen.
BGH, Urteil vom 12. Januar 2022 – XII ZR 8/21
BGB §§ 275 Abs. 1, 313 Abs. 1, 326 Abs. 1, 536 Abs. 1 Satz 1; EGBGB Art. 240 § 2, Art. 240 § 7
Vorinstanzen: OLG Dresden, LG Chemnitz