Rechtsanwältin Jutta Gass
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Familienrecht

BGH: Nichteheliche Lebensgemeinschaft

Urteil v. 4.3.2015 – XII ZR 46/13

Erbringt jemand nicht unerhebliche Arbeits- und Materialleistungen in einer von ihm und seiner mit ihm nicht verheirateten Partnerin bewohnten, im Eigentum ihrer Eltern stehenden Immobilie zu dem Zweck, sich und seiner Familie dort langfristig ein Unterkommen zu sichern, kann nicht ohne Weiteres von dem Abschluss eines Kooperationsvertrages zwischen ihm und den Eltern ausgegangen werden (Abgrenzung zu Senatsurteilen BGHZ 184, 190 = FamRZ 2010, 958, und v. 21.11.2012 – XII ZR 48/11 -, FamRZ 2013, 269).

Familienrecht

BVerfG: Auskunftsanspruch des Scheinvaters

Beschluss v. 24.2.2015 – 1 BvR 472/14

1. Das aus Art. 2 I i. V. mit Art. 1 I GG folgende allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt mit der Privat- und Intimsphäre auch das Recht, selbst darüber zu befinden, ob, in welcher Form und wem Einblick in die Intimsphäre und das eigene Geschlechtsleben gewährt wird. Dies umschließt das Recht, geschlechtliche Beziehungen zu einem bestimmten Partner nicht offenbaren zu müssen.

2. Die gerichtliche Verpflichtung einer Mutter, zur Durchsetzung eines Regressanspruchs des Scheinvaters (§ 1607 III BGB) Auskunft über die Person des mutmaßlichen Vaters des Kindes zu erteilen, überschreitet die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, weil es hierfür an einer hinreichend deutlichen Grundlage im geschriebenen Recht fehlt.

Schönheitsreparaturen

Grundsatzurteile des BGH zu der Verpflichtung eines Mieters hinsichtlich der Durchführung von Schönheitsreparaturen

Im Wohnungsmietvertrag finden sich fast immer sog. Renovierungsklauseln, mit welchen die Vermieter ihre grundsätzlich ihnen obliegende Verpflichtung zur Vornahme von Schönheitsreparaturen auf die Mieter abwälzen.

Die Abgeltungsklauseln beinhalten, dass der Mieter die Verpflichtung zur anteiligen Tragung der Kosten von Schönheitsreparaturen hat, für den Fall, dass die Wohnung am Ende des Mietverhältnisses Abnutzungs- oder Gebrauchsspuren aufweist, die Schönheitsreparaturen aber nach dem in der Renovierungsklausel festgelegten Fristenplan noch nicht fällig sind.

Ausgangspunkt für seine jetzigen Entscheidungen ist für den BGH die Ansicht, dass Mieter nur zu den auf ihre eigene Vertragszeit entfallenden Renovierungsleistungen verpflichtet werden dürfen. Sie dürfen zur Vermeidung einer unangemessenen Benachteiligung formularmäßig nicht mit der Beseitigung von Gebrauchsspuren der Wohnung belastet werden, die von dem Vormieter der Wohnung stammen und in dessen Abnutzungszeitraum entstanden sind.

Danach ist eine Formularklausel, die dem Mieter einer unrenoviert übergebenen Wohnung die Schönheitsreparaturen ohne angemessenen Ausgleich auferlegen, unwirksam. Denn eine solche Klausel verpflichtet den Mieter zur Beseitigung von Gebrauchsspuren, die vom Vormieter stammen, und kann dazu führen, dass der Mieter die Wohnung vorzeitig renovieren oder in einem besseren Zustand zurückgeben muss als er die Wohnung zu Beginn des Mietverhältnisses vorgefunden hat.

(BGH vom 18.03.2015 , Aktenzeichen VIII ZR 185/14 und VIII ZR 242/13)

In dem Verfahren zu dem Aktenzeichen VIII ZR 242/13 hat der BGH darüber hinaus entschieden, dass ein Anspruch auf anteilige Kostentragung nach der Quotenabgeltungsklausel nicht besteht.

Zur Begründung führte er aus, dass eine unangemessene Benachteiligung des Mieters darin liege, dass der auf ihn entfallende Kostenanteil nicht verlässlich ermittelt werden könne und für ihn bei Abschluss des Mietvertrages nicht erkennbar sei, welche Belastung auf ihn zukommen könne.

Dies gelte unabhängig davon, ob die Wohnung dem Mieter renoviert oder unrenoviert übergeben wurde.

In einem weiteren Verfahren hat der BGH entschieden, dass der Mieter nicht wegen unterlassener Schönheitsreparaturen schadensersatzpflichtig sei, wenn in der im Mietvertrag verwendeten Klausel zum Teil „starre“ Fristen aufgeführt seien. Auf die Frage, ob die Wohnung renoviert oder unrenoviert übergeben wurde, kommt es dann nicht mehr an.

(BGH vom 18.03.2015, Aktenzeichen VIII ZR 21/13)

Arbeitsrecht

Entgeltfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit – Verschulden bei langjähriger Alkoholabhängigkeit

Eine Arbeitsunfähigkeit ist nur dann verschuldet iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG*, wenn ein Arbeitnehmer in erheblichem Maße gegen das von einem verständigen Menschen in seinem eigenen Interesse zu erwartende Verhalten verstößt. Nur dann verliert er seinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Bei einem alkoholabhängigen Arbeitnehmer fehlt es suchtbedingt auch im Fall eines Rückfalls nach einer Therapie regelmäßig an einem solchen Verschulden.

Die Klägerin ist eine gesetzliche Krankenkasse. Der alkoholabhängige Herr L., der Mitglied der klagenden Krankenkasse ist, war seit dem Jahr 2007 bis zum 30. Dezember 2011 Arbeitnehmer der beklagten Arbeitgeberin. Herr L. wurde am 23. November 2011 mit einer Alkoholvergiftung (4,9 Promille) in ein Krankenhaus eingeliefert und war in der Folge für über zehn Monate arbeitsunfähig erkrankt. Zuvor hatte er zwei stationäre Entzugstherapien durchgeführt. Es kam jedoch immer wieder zu Rückfällen. Die Klägerin leistete an Herrn L. für die Zeit vom 29. November bis zum 30. Dezember 2011 Krankengeld iHv. 1.303,36 Euro. Die Klägerin macht in dieser Höhe Ansprüche auf Entgeltfortzahlung aus übergegangenem Recht (§ 115 SGB X) gegenüber der Beklagen geltend. Sie meint, ein Entgeltfortzahlungsanspruch gegen die Beklagte habe bestanden, da es an einem Verschulden des Herrn L. für seinen Alkoholkonsum am 23. November 2011 fehle. Die Beklagte ist der Ansicht, ein Verschulden sei bei einem Rückfall nach mehrfachem stationärem Entzug und diesbezüglich erfolgter Aufklärung zu bejahen.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Die Revision der Beklagten hatte vor dem Zehnten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Bei einer Alkoholabhängigkeit handelt es sich um eine Krankheit. Wird ein Arbeitnehmer infolge seiner Alkoholabhängigkeit arbeitsunfähig krank, kann nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Erkenntnisse nicht von einem Verschulden im Sinne des Entgeltfortzahlungsrechts ausgegangen werden. Die Entstehung der Alkoholsucht ist vielmehr multikausal, wobei sich die unterschiedlichen Ursachen wechselseitig bedingen. Dies gilt im Grundsatz auch bei einem Rückfall nach einer durchgeführten Therapie. Im Hinblick auf eine Abstinenzrate von 40 bis 50 % je nach Studie und Art der Behandlung kann nach einer durchgeführten Rehabilitationsmaßnahme jedoch ein Verschulden des Arbeitnehmers an einem Rückfall nicht generell ausgeschlossen werden. Der Arbeitgeber kann deshalb in diesem Fall das fehlende Verschulden bestreiten. Das Arbeitsgericht hat dann ein medizinisches Sachverständigengutachten zu der Frage einzuholen, ob der Arbeitnehmer den Rückfall schuldhaft iSd. § 3 Abs. 1 EFZG herbeigeführt hat. Lässt sich dies nicht eindeutig feststellen, weil ein Ursachenbündel hierfür vorliegt, geht dies zulasten des Arbeitgebers. Das im konkreten Fall eingeholte sozialmedizinische Gutachten hat ein Verschulden des Arbeitnehmers unter Hinweis auf die langjährige und chronische Alkoholabhängigkeit und den daraus folgenden „Suchtdruck“ ausgeschlossen.

*§ 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG lautet: Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen.

 

Pressemitteilung Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 18. März 2015 – 10 AZR 99/14 –

Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil vom 16. Januar 2014 – 13 Sa 516/13 –